Was Kühlungsborn schadet!

 

Gehe ich durch Kühlungsborn, oder fahre ich mit dem Fahrrad, geht es mir nicht nur darum, so schnell wie möglich von A nach B zu gelangen. Wege sind für mich nicht das notwendige Übel, das überwunden werden muss, um das zu erreichen, was ich erreichen will. Ich nehme den Weg als Weg wahr, ich erlebe ihn, lebe eine Zeit lang in ihm, mit ihm, bin Teil des Weges. Ich bin Teil des Gemeinwesens, in dem ich lebe. So fahre ich, oder gehe ich beispielsweise durch die „Ostseeallee“ und schaue und genieße die alten Villen, Pensionen, Hotels und ihre Vorgärten. Ich sehe die „Anmutigkeit“ des Badeortes. Ich genieße die Details und die Ganzheit, die mir Freude auslösen, im „Seebad mit Flair“, wie ein städtischer Flyer den Ort für eine anziehende Wahrnehmung aufwertend zu definieren versucht, um für ihn zu werben.

Ich sehe Beseitigtes, sehe Hinzugekommenes, sehe steingepflasterte, zu Autoabstellflächen degradierte Vorgartenbereiche, entgegen den Regeln einer Gestaltungssatzung, die die Stadtvertreter in ihrer Verantwortung für den Erhalt und die Pflege historischer Substanz für dieses Gebiet formuliert haben.

Ich weiß um die Schwierigkeit, solche Regeln zu vermitteln und durchzusetzen.

Wie in der Stadt, so gehe und fahre ich sehend die Wege des „Stadtwaldes“, der auf einer den Urlaubern und Einheimischen zugewandten stählernen Tafel beschrieben wird als „dienend für Erholung und Ruhe“.

 

So fuhr ich durch meinen Lieblingsweg, den südlichen Waldrandweg, genannt „Schulweg“. Wer diesen Waldweg gekannt hat und vielleicht auch: wer ihn geliebt hat, in dem Sinn: nur das kann man lieben, was man kennt, der muss sich mitgetötet, mitverstümmeltgefühlt haben, wenn er, nach Abschluss der so genannten „Forstarbeiten“, erstmals wieder hier entlang fuhr, wie ich am 13.07.2013.

 

 

Besitzer machen was sie wollen?

 

Auch der Besitzer des „Stadtwaldes“ mit dessen alten Waldwegen wie jenem „Schulweg“? So sieht es aus. Dieser Satz war, wie vor Jahren, wieder aus dem Rathaus zu hören: „Der Forst“ macht doch was er will. „Der Forst“ als „Besitzer“! Für den „Stadtwald“ existieren keine städtischen Regeln, keine Festlegungen, wie für ein Gebiet mit Gestaltungssatzung, oder für ein Sanierungsgebiet, Regeln, die den Besitzer auffordern und einschränken, diesen Wald anders als einen „Wirtschaftswald“ zu behandeln. Machte also wieder „der Forst“, was er will?

 

Der „Schulweg“, der einzige erlebbare Wald-Rand-Weg des „Stadtwaldes“, wurde in der ersten Julihälfte wie in ein „Schlachtfeld“ verwandelt. Als waren hier die Bäume die Feinde des Försters, so mussten sie ein „Massaker“ über sich ergehen lassen.

 

 


Die weiten Verzweigungen der Bäume in diesem dem Licht zugewandten Waldstreifen, ihre Vielgestaltigkeit und Eigenartigkeit, Besonderheit ihrer Stämme und individuellen Gestaltbildungen, wurden zerstört, Solitärbäume wurden verstümmelt, ihre markanten, einmaligen Verzweigungen genommen, krummwüchsige Sonderlinge und den Weg formende, Raum bildende, lebende Bäume wurden gefällt, Unterholz abgesägt.

Wer die Amputationen sah, sah belaubte Zweige liegen. „Notwendige Verkehrssicherungsarbeiten“, wie ich sie kenne, sehen anders aus: z.B. Wegnahme abgestorbener Äste an den Wegrändern.

 

 

Jedoch hier wurden grüne Bäume gefällt, ihnen grüne Äste abgesägt, auch abseits des Weges.

Eine Kühlungsbornerin sagte traurig: „Der Weg war so kuschelig. Warum wurden so hoch die Äste abgeschnitten?“ Eine andere sagte: „Ich war entsetzt“.

Was hier gemacht worden ist, ist nicht „notwendige“ Verkehrssicherung, sondern Unverhältnismäßigkeit! Ist Zerstörung der Atmosphäre, der Einmaligkeit dieses differenzierten Waldrandbereiches im Erholungsgebiet der Stadt Kühlungsborn.

Warum das alles?

Um die Kubikmeter „Brennholz“ zu erhöhen, das von der „Forstverwaltung“ angeboten wird? Ich empfinde diese hier überfallartige Praktik als asoziales, gemeinschaftsfremdes Verhalten. Als wüssten die Täter nichts von der Lebensgestalt eines Baumes, nichts von der Bedeutung des Naturraumes, nichts von Erholungsgebieten, wie diesem des „Ostseebades mit Flair“!

Könnten Bäume fliehen, der ganze Schulweg wäre leer. Sie konnten nicht, sie wurden Opfer.

 


Im „Bad Doberaner Jahrbuch 2001“, S. 56, lese ich: „10 Jahre Stadtsanierung – Bilanz und Ausblick: Sanieren heißt gesundmachen, das bedeutet, das Herz einer Stadt, den historisch gewachsenen Stadtkern, am Leben zu erhalten und mehr noch, es liebens- und lebenswert zu machen.“

 

Ersetze ich „Stadt“ mit „Wald“ oder „Stadtwald“ und „Sanieren“ mit „Pflegen“, gewinne ich die klare Einsicht für den Umgang auch mit dem historisch gewachsenen Wald der einstigen Bäder Arendsee und Brunshaupten. Seit beginn des Zwanzigsten Jahrhunderts wurde die Schönheit der Waldwege in Fotos dargestellt.

 

In den „Merkblättern Waldökologie 1996 Nr.2 LEBENSRAUM WALDRAND/ Schutz und Gestaltung (erschienen in der Reihe: Merkblätter der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg Nr. 48)“ lese ich:

 

Die Altholznachhaltigkeit im Waldrandbereich ist durch möglichst lange Erhaltung von alten Bäumen bzw. frühzeitige Auswahl geeigneten Nachwuchses zu wahren….Mit dem Ziel eines langfristig erhöhten Totholzanteils sollen anbrüchige oder abgestorbene Bäume (v. a. ältere Laubbäume) erhalten werden, soweit Gründe des Waldschutzes und der Verkehrssicherung nicht dagegen sprechen.“ Die einzelnen Zerstörungen an den Bäumen und des Unterholzes am „Schulweg“ und abseits von ihm, widerlegen jedoch hier die „Notwendigkeit“ der Verkehrssicherung. Weiter heißt es: „Waldrandgestaltung unter Berücksichtigung besonderer Funktionen: In Siedlungsnähe und in Fremdenverkehrsgebieten spielt die Erholungsfunktion eine große Rolle. Aus Gründen der Landschaftsästhetik sind hier attraktive Waldränder mit großer Vielgestaltigkeit durch Blüten, Früchte und Herbstfärbung, aber auch Kontraste durch eingestreute Nadelhölzer, Überhälter und markante Baumtrupps wichtig.“

 

 

Ich lege hiermit Beschwerde ein gegen die im „Schulweg“ vollzogenen Praktikten.

Ich erwarte eine Stellungnahme derjenigen, die diesen Totaleingriff in die Naturwüchsigkeit dieses Waldrandgebietes ausgelöst haben.

Wenn grüne Äste in großen Mengen und lebendige Bäume und nicht nur abgestorbene, als mögliche Gefahrenquelle, beseitigt werden und das daraus sich ergebende „Schlachtfeld“ im Widerspruch zu einer pflegenden Behandlung steht, dann bedarf es einer differenzierten „Rechtfertigung“!

Ich fordere als überfällig für den „Stadtwald“ ein „Umgangs- und Gestaltungskonzept“, in dem zu schützende Bereiche und Einzelbäume erfasst und klar dargestellt sind. Das ist eine Dringlichkeit, eine Pflicht für die Zukunft, für den Erhalt und die Pflege der öffentlichen, naturräumlichen Werte, die unverzichtbar sind, damit auch der „touristische“ Wert Kühlungsborns, der „Grünen Stadt“, sowie das Wohlgefühl seiner Bürger, nicht gemindert werden.

 

Wilfried Schröder, Bildhauer, Kühlungsborn, 27.07.2013

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